BarCamps 2023, Perspektive

Gedanken über das BarCamp, damals und heute.

Weil das Announcement des BarCamp Bonn dieses Post losgetreten hat, hier erst einmal das Video, das ich damals gemacht habe. Ich denke, es reflektiert die Stimmung auf dem Camp recht gut:

Ich mag BarCamps. Ich war 2005 beim BarCamp in San Jose ein Mitveranstalter, da das Ganze mehr oder weniger eine Reaktion auf unsere Ausladung vom FooCamp war, und ich Zugang zu den neuen Räumlichkeiten meines Arbeitgebers, Socialtext, hatte. Für Socialtext habe ich damals den Sprung von proprietärer Software in ein Open Source Modell des eigenen Angebots geleitet (Studium in den USA ist sauteuer, irgendwo musste das Geld ja herkommen), da kam so ein Nerd-Treffen genau richtig um „Good Will“ zu schaffen.

LOL, immer noch „Key Decision Maker“ in einem Betrieb in dem ich seit 2006 nicht mehr arbeite.

Seitdem hat sich viel geändert. 2005 sind wir mit drei Kästen Bier und Tantek’s Kaffemaschine zu Socialtext gefahren, haben ein paar Parkplätze mit Hütchen gesperrt, damit wir dort später Tische von einem befreundeten Ehepaar mit Camperfimmel abstellen konnten, und das war’s. Angekündigt hatten wir das Ganze zwei Wochen früher, den Rest haben Twitter und Blogs für uns erledigt.

Ab Freitag Abend trudelten Menschen ein, einige brachten Dinge (wie einen Flaschenöffner, als Deutscher denkt man immer nicht dran, dass die Amis so etwas nicht mit Zollstock oder Tischkante können) mit, jede:r einen Laptop, und dann saßen wir auf ebenfalls mitgebrachten Sitzsäcken und hatten Spaß miteinander.

Da die Meisten in der Bay Area lebten, gingen viele zum Schlafen nach Hause, der Rest kroch einfach unter einen Tisch oder hinter die Garderobe und rollte sich in einen Schlafsack. Am Sonntag roch es dann auch entsprechend, aber geil wars.

Beim 2. BarCamp wurden wir abends aus der Kneipe geschmissen und haben einfach draußen weitergemacht. Gepennt haben wir bei diesem in den neuen Räumen einer kleinen Firma, die später Instagram wurde.

Gestern hat Johannes geschrieben, warum es kein BarCamp Bonn 2023 geben wird:

Wir merkten schon letztes Jahr, dass es schwieriger wird, Partner*innen für unser BarCamp zu finden. Die Zeiten, in denen sich Unternehmen freuten, ein Teil der Community sein können, in denen uns aktiv Orte, Geld und Sachleistungen angeboten wurden, waren merklich vorbei. Ein Phänomen, das wir auch von anderen Städte-Barcamps gehört haben. Das Geschehen verlagert sich zusehends zu themenspezifischen Barcamps. Davon nicht genug, hatten wir dieses Jahr vor allem große Probleme, eine passende Location zu finden. Trotz Aufrufen und guten Hinweisen, trotz aller Kontakte haben wir letztlich keine geeignete Fläche finden können.

Zusammengefasst: BarCamps kosten Geld, kein Geld kommt rein, also kein BarCamp.

Fediverse Analogies

Vielleicht macht es Sinn, sich einmal mehr auf die Ursprünge des BarCamp zu besinnen. Und ein bisschen auf ein anderes, neues, Phänomen zu schauen: das Fediverse.

Das Fediverse ist alt. Seit 2010 vernetzen sich Systeme über Protokolle, die eine Dezentralisierung des Contents möglich machen. So richtig „angezogen“ hat es aber erst im Jahr 2018 und dann extrem 2022, wann immer Twitter, das Ding, auf dem man was war, Scheiße baute. Interessant wird es hier als Gleichung, weil man zwei Bewegungen sieht: die kleinen, dezentralen, Server, denen es eigentlich sehr gut geht, und die massiv großen, wie mastodon.social, die nur Probleme haben, ständig mehr Geld brauchen, oder wie home.social einfach mit 6’200 Nutzern Tag auf Nacht schließen, weil’s Geld nicht mehr reicht.

Lösungsvorschlag

In Deutschland wurde, eigentlich recht schnell nach den ersten BarCamps in den USA, eine eigene BarCamp-Kultur geschaffen. Diese hatte mit dem antikommerziellen, kooperativen, Ziel des Ursprungs-Camps nicht immer sehr viel gemein. Weder campierte man (Ausnahme hier, das BarCamp Bonn, witzigerweise, da habe ich 2019 kampiert), noch war das „wir machen das“ Feeling eines mehr oder weniger unorganisierten Treffens von Nerds immer im Mittelpunkt.

Vielleicht wird es Zeit, das Ganze mal wieder umzukrempeln. Die Lektionen des ersten BarCamp noch einmal zu verinnerlichen. BarCamps müssen weder groß noch organisiert sein, sie müssen nur da sein, dann werden sie auch genutzt.

Räumlichkeiten für zwei Tage kann man oft bei Gemeinden und karitativen Vereinen anfragen. In München würde unter anderem die Freiwillige Feuerwehr oder das BRK solche Räume haben. Da an Wochenenden keine Erste-Hilfe-Kurse gehalten werden, sind die EH Ausbildungsräume in Pasing, Innenstadt, und auf dem Land oft ungenutzt. Reinigen muss man selbst, natürlich.

Essen muss man nicht anbieten. Dafür gibt es Wolt und Andere, bei denen man schnell bestellen kann, jede:r Teilnehmer:in für sich selbst oder kleine Gruppen. Dann gibts auch kein Geheule wegen Vegan oder koscher, chacun à son goût.

Schlafen geht nicht immer, aber Jugendherbergen und Zeltplätze sind eigentlich immer bereit, Stellflächen „weich“ zu reservieren. Für das MedCamp 2019 haben wir einfach beim Tent in München angefragt, sogar für den Samstag den Platz bekommen, und ab 10 €/Nacht konnte jede:r so schlafen, wie man wollte. Im Mehrbettzimmer, im Zelt, im Hotel nahebei, oder (wie eine Anästhesistin, deren Namen ich hier nicht nennen darf, sonst habe ich Ärger) im Gang, weil man sein Zimmer im Suff nicht finden kann.

Kaffeemaschine kann man mitbringen, der Bäcker freut sich, wenn man morgens mit einer Großbestellung und Cash in Hand vorbeikommt, vielleicht spendet ein:e Teilnehmerin ja ein bisschen Marmelade oder, wie auf dem MedCamp, bringt eine Crêpe Maschine und Nutella mit (ganz viel <3 für das).

Klappt das?

Kann klappen. Muss aber nicht. Und das Gute ist, dass es nicht klappen muss. Niemand geht in große Vorlage für so eine Veranstaltung, wenn nur zehn Menschen kommen, dann kommen nur zehn. Dann geht man schön Frühstücken und daddelt ein wenig zusammen.

Mit der Aufgabe des „Session Plan“ Prinzips und der Rückkehr in eine „Open Spaces“ Kultur, in der man sich als Gruppe trifft, manchmal zusammensteht oder -sitzt, viel rumläuft, geht eigentlich dem BarCamp selbst nichts verloren. Nur die, die gerne vor Anderen stehen und reden, müssen sich jetzt daran gewöhnen, dass man mit Käse Mäuse fängt, aber keine Zuhörer:innen. Stattdessen ist ein System, in dem „Hey, der Mikka verliest gerade seine Lieblings-Anwaltsschreiben“ als „Werbung“ für eine Sitzkreis-Idee, in der Andere das auch tun, bis eben kein Interesse mehr besteht, immer möglich.

Kleinere BarCamps, mit „Local Flair“ und themenoffen, weil man sich halt „nur“ trifft und dann mal schaut, was passiert, sind die Zukunft, die die Vergangenheit ganz gut bewiesen hat. Statt „Innerbetrieblichen BarCamps“, die in etwas so viel mit BarCamps zu tun haben, wie die AfD mit Menschenwürde, oder 300 € „BarCamps“ mit gebuchten Speakern, wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: mehr als einen Raum und eine Kaffeemaschine braucht man nicht. Alles Weitere ist Candy.

Tod den „Drei Hashtags“

Die längste Session auf vielen BarCamps ist die „Wir sind Orga, hier sind Sponsoren, und jetzt geht ein Mic herum für drei Hashtags“ Session. Kleinere BarCamps brauchen so etwas nicht. Bei 10 bis 50 Teilnehmern lohnt es sich, herumzulaufen und „Hallo“ zu sagen. Das ist der BarCamp-Spirit. Stell Dich vor, Extraversion auf Augenhöhe, „wir“ statt „ich“. Kostet manchmal Überwindung, aber wie es so schön auf der alten BarCamp-Seite hieß: „A Stranger is just a friend, you haven’t met, yet.

Und Tod dem Event-Kraken

Und während wir schon dabei sind: können wir bitte aufhören, den Hirnkrebs der Veranstaltungsplanung, Eventbrite, für BarCamp Tickets zu nutzen? Bitte? Bitte? Attendize wäre Open Source, zum Beispiel.

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7 Antworten

  1. @mikka @barcampbonn Das Video ist der Hammer. 🙂 Und die Story auch. Glaub uns, wir hätten dieses Jahr auch Openair im kleinen Kreis am Bierzelt gebarcampt. (Sonst sage ich in der Moderation mal: sorry, keine Bar, kein Zelt, und erzähl dann die Story vom foocamp nach). Aber die Location musste dann doch absagen. Es war zum Mäusemelken. Aber ich möchte gerne die foostory mal in aller Ausführlichkeit hören (und dokumentieren). 🙂

  2. @Sascha @barcampbonn Ich glaube Dir nicht nur, ich weiß das von Euch. BCBN19 war, ohne Frage, eines der besten BarCamps dem ich jemals beiwohnen durfte. Die Musik abends, die Menschen, die Atmosphäre, die Location…Gerade deshalb ist es ja doppelt schade. Ich glaube, dass die verzerrte „Kultur“ der „Inhouse“ BarCamps, Orga für Geld, fast schon ein Wettbewerb, bei dem über Lufthoheiten gestritten wird, den großartigen BarCamps wie #bcbn oder Bietigheim leider schaden.Wird auch wieder besser, und 2024 bin ich dabei, wenn es stattfindet. Keine Frage.
    bcbn

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